Die Welt ist klein – Lasst uns eine neue bauen!

Der Hype um Second Life ließ unserer Autorin Petra A. Bauer keine Ruhe: Würde sie in dieser Welt verschwinden und nur noch als Avatar existieren? Würde sie dort viele neue Leser für ihre Bücher finden? Wie sinnvoll mag es für Verlage sein, dort ein zweites Standbein zu errichten? Lohnen sich Second-Life-Filialen für Buchhandlungen? Voller Vorfreude, aber auch ein wenig bange, machte sie sich auf den Weg ins Ungewisse.

Darf ich mich vorstellen? Bailey. Priscillina Bailey. Doppelnullagentin der Federwelt, mit der Lizenz zum Schreiben.
Mein Auftrag - die Suche nach Antworten auf die großen Fragen:
Muss ein Verlag, der etwas auf sich hält, auch in der Zweitwelt vertreten sein? Haben Autoren dort gute Marketingmöglichkeiten? Gibt es ein Leben neben dem Tod?

Ich war allerdings nicht gerührt, als ich Second Life auf den Rechner lud, sondern habe mich vielmehr geschüttelt, als ich begriff, auf was ich mich allein bei der Anmeldeprozedur eingelassen hatte.

Schon die Namensgebung ist eine Hürde, da es nur eine bestimmte Auswahl von Familiennamen gibt. Aber das ist nichts gegen die seltsame Insel der Orientierungslosen, bei der der Neuankömmling vier mehr oder weniger sinnvolle Tutorials absolvieren muss. Fliegenlernen war ganz hilfreich, aber es ist mir bis heute nicht gelungen, die Haarfarbe zu ändern ohne gleich eine Betonfrisur herzustellen.

Also war Priscillina – die Leute nennen mich Pris – bis vorhin noch immer im ursprünglichen Outfit unterwegs. Auch gut. Diese Erkenntnis hat mich jedoch schon einen nicht unerheblichen Teil meiner Lebenszeit im Erstleben gekostet. Vielleicht ist dies ein guter Zeitpunkt, um anzumerken, dass ich zuvor noch nie ein MMORPG (Massively Multiplayer Online Role-Playing Game) gespielt habe, ein Faktor, der auf viele Autoren zutreffen dürfte.

So wanderte ich, bzw. Priscillina, stellvertretend für andere Autoren ohne Spielerfahrung, weiter durch die Pixelwelt. Ein attraktiver Kerl, der sich schon ein wenig länger in SL tummelte, führte mich herum, und so sah ich diverse Clubs von innen, besuchte gar den Louvre, nur die Buch- und Verlagswelt wollte sich mir nicht erschließen.

Dann sah ich in einer Pressemitteilung, dass die englische Buchhandlung Snowbooks auch in SL vertreten sei. Mit der Suchfunktion gelangte ich dorthin – und stand vor verschlossenen Türen. Genauer: Es war niemand da, denn die Läden sind alle offen, damit man sich umschauen kann. Ich hinterließ dem Besitzer von Snowbooks eine Nachricht, und bekam nur Tage danach die – kurzen – Öffnungszeiten mitgeteilt.

Nachts um halb drei gab ich dann auf. Nach acht Stunden in der virtuellen Welt, und einem weiteren Kurzbesuch bei Tage, als alles menschenavatarleer war, stand mein erstes Urteil fest: Second Life ist etwas für Nachtschwärmer und Singles (es sei denn, Partner und Familie haben kein Problem damit, wenn man stundenlang nicht ansprechbar ist), und für Autorenmarketing viel zu mühsam.

Ich rate Autoren gerne, den Fernseher zu ignorieren, um Zeit zum Schreiben zu schaffen. Sollte man die so gewonnene Zeit dann im Zweitleben verbringen? Ich wollte hier schreiben, dass ich lieber Kontakte via OpenBC oder MySpace knüpfe. Gerade auf http://www.MySpace.com tummeln sich immer mehr Autoren, und mit einer Viertelstunde administrativer Arbeit pro Tag kann man seine Botschaft schon ganz gut in die Welt tragen.

Der aufmerksame Leser hat den Konjunktiv bemerkt. Kurz vor der Deadline für diesen Beitrag, fand in Second Life ein Vortrag des Literaturcafés zum Thema Online-Marketing für Verlage, Buchhandel und Autoren statt. Als hätten sie es gewusst!

Ich teilte der Familie mit, dass ich diesen Vortrag um acht in Second Life besuchen würde.
„Ach, du bist heute Abend gar nicht zu Hause?“
Was mich zunächst schmunzeln ließ, erwies sich letztlich als sehr wahr: Hören, sprechen, chatten, mich um den SL-Absturz kümmern, Notizen machen, alles gleichzeitig, hochkonzentriert – ich war tatsächlich sozusagen den ganzen Abend nicht da, sondern in meinem Büro. Nicht ansprechbar, da mein Skypecast-Mikro offen war, und sich sicher niemand für Unterhaltungen mit meinen Kindern interessiert hätte.

Priscillina lief eine halbe Stunde vor Beginn am Veranstaltungsort ein und fand auch noch einen Platz. Die Verbindung via Skypecast war vorbildlich, doch pünktlich zu Beginn des Vortrags fand offenbar ein System-Reboot bei SL statt. Es flogen alle nacheinander wieder aus der virtuellen Welt, und waren nur noch akustisch miteinander verbunden. Der ebenfalls anwesende Autorenkollege Titus Müller sagte dazu augenzwinkernd: „Die kleinen technischen Macken verkraftet man durch das Gefühl, Pionier zu sein.“

Rund vierzig solcher Pioniere, lauschten den Möglichkeiten, die das ‚Mitmachnetz’ Web 2.0 Autoren, Verlagen und Buchhandlungen bietet. Vom Bloggen, über Podcasten bis zum MySpace-Account wurden Beispiele genannt. Allen Anwendungsmöglichkeiten gemeinsam ist jedoch, dass man eine unerschütterliche Leidenschaft für das Thema benötigt, sowie Experimentierfreude und Spontaneität. Wer zum Bloggen bei einem kommerziellen Blog quasi gezwungen wird, verliert schnell die Lust.

Noch mehr gilt das Vorgenannte jedoch für Marketing in Second Life. Einige Autoren, haben sich inzwischen Läden in einem deutschen Viertel von Second Life gemietet. Einer verkauft Kurzgeschichten und lässt sich die Wochenmiete des Ladens vom Verlag bezahlen, ein anderer glaubt nicht an kommerziellen Erfolg in SL direkt, sondern setzt darauf, dass durch zustande kommende Kontakte, der Bekanntheitsgrad außerhalb von Second Life steigt. Das Literaturcafé sieht den Effekt eher in Einzelveranstaltungen als in Dauerpräsenz.

Die Frage, die über allem steht, lautet jedoch: Ist der Marketingeffekt messbar? Verkaufen Verlage, Buchhändler, Autoren auch nur ein einziges Buch mehr, wenn sie in Second Life präsent sind?

Eine Antwort darauf ist schwer zu geben; zumindest sind direkte Links zu Online-Buchhändlern eine Möglichkeit, anderen Avataren den Kauf zu erleichtern. Ansonsten scheint eine Pressemitteilung, dass man nun auch in Second Life vertreten ist, beinahe einen größeren Werbeeffekt zu haben, als die Anwesenheit selbst.

Ein unschlagbarer Vorteil besteht jedoch in der Erreichbarkeit von Personen, die man im Erstleben schon deshalb nicht erreichen würde, weil sie ganz woanders leben. Lesungen vor Avataren aus Hamburg, München, Wanne-Eickel und Mönchengladbach gleichzeitig stellen kein Problem dar, ebenso, wie bei der Veranstaltung des Literaturcafés Autoren anwesend waren, die man sonst nur umständlich auf Literaturfestivals begegnen kann. So war der Smalltalk via Skype und Chat am Schluss sehr interessant und „netzwerkig“.

Meine anfängliche Skepsis ist nicht ganz gewichen, aber der Abend hat mich davon überzeugt, dass es sich lohnt, einen eigenen Weg in Second Life zu finden. Ein wenig Zeit werde ich wohl investieren müssen, um mich besser in SL zurechtzufinden. Vom Veranstalter habe ich schon ein neues T-Shirt geschenkt bekommen. Der Rest wird sich finden.

KASTEN:
• Deutschsprachige Autoren sollten sich sinnvollerweise in deutschen SL-Communities aufhalten. Deutschland heißt dort ‚Apfelland’. Einige Autoren haben ihren Sitz in der ‚Altstadt Kasada’ (in die Suchmaske eingeben und sich dorthin teleportieren lassen)
• ‚Newbies’ sollten sich an alteingesessene Avatare halten und sich von diesen helfen lassen. Das macht den Einstieg weniger mühselig.
• Größere Einzelereignisse sind vermutlich effektiver als eine Dauerpräsenz, bei der u.a. Ladenmiete anfällt.
• Niemand sollte sich zwingen eine Second-Life-Dependance anzulegen. Ohne Leidenschaft und Experimentierfreudigkeit und Geduld kommt man dort nicht weit.

© Petra A. Bauer, 07/2007 für die Autorenzeitschrift "Federwelt"
Dieser Text darf nicht ohne die ausdrückliche Genehmigung der Autorin anderweitig veröffentlicht werden. Dies gilt auch für alle anderen Texte der Internetseiten, die zum Webangebot von Petra A. Bauer gehören. Benutzen Sie bitte das Kontaktformular für die Anfrage. Ich teile Ihnen dann auch gerne meine Honorarvorstellungen mit.

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